Alex Hanimann |
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Samuel
Herzog, “Kannst du schwimmen?” Alex Hanimanns Installation “L’intelligenza delle bestie è proprio straordinaria” im Centro d’Arte Contemporanea Tyyicino in Bellinzona Wer kennt sie nicht, die handlichen kleinen Büchlein, die auf Reisen durch die Fremde vor der Sprachlosigkeit bewahren, vor Irritationen retten sollen. Sie helfen uns dabei, allzu scharfe Suppen in Thailand zu vermeiden und zeigen uns, mit welchen sprachlichen Purzelbäumen wir die Konsequenzen eines unvorsichtigen Augenaufschlags im Iran vielleicht doch noch mildern können. Manche dieser Bücher geleiten uns als “Sprachführer” durch Russland oder bieten “Portugiesisch für Globetrotter”, andere versprechen uns “Türkisch in 30 Tagen” oder “Dänisch für Eilige”. Im Unterschied zu eigentlichen Sprachkursen, die meist systematisch mit Grammatik und Wortschatz vertraut machen, enthalten diese Sprachführer oder Schnellkurse vorwiegend ganze Sätze, die zu bestimmten Situationen passen. Die Nützlichkeit eines solchen Führers vor Ort hängt deshalb zunächst einmal davon ab, ob man in die vorgesehenen Situationen gerät oder aber in gänzlich andere. Welche Situationen diese kleinen Helfer vorsehen, ändert sich im Verlauf der Jahre - entsprechend den Gewohnheiten und Ansprüchen der Reisenden. So finden sich etwa in älteren Exemplaren noch oft Sätze wie “Sagen Sie doch bitte dem Zimmermädchen, dass in meinem Raum eine Fliege ist”. In neueren Ausgaben hingegen fehlt die Fliege meist, dafür liest man weit häufiger: “Wo kann ich hier eine neue Batterie für mein Mobiltelephon bekommen?”. Wie oft diese Begleiter unterwegs tatsächlich von praktischem Nutzen sind, ist fraglich - meist dürfte die Verständigung mit Händen, Füssen und Basis-Englisch weit schneller zum gewünschten Ziel führen als das verzweifelte Blättern im Langenscheidt. Doch auch wenn der konkrete Nutzen wohl eher gering ist, die Lektüre dieser kleinen Büchlein kann ein ausserordentliches Vergnügen sein. Denn aus “Griechisch für Globetrotter” strahlt uns schon vor Antritt der Reise das Licht der Kykladen entgegen - mehr vielleicht als aus einem Reiseführer, der uns mit den Sitten des Landes und den Sehenswürdigkeiten vertraut macht. Das hat seinen Grund wohl vor allem darin, dass diese Sprachführer unsere Phantasie stark beanspruchen: Wir sind verführt, uns Situationen auszumalen, in denen wir Sätze brauchen wie “Zwei Kaffee mittelsüss bitte” oder “Guten Tag, haben Sie heute gute Tomaten?” -- und schon sitzen wir mitten auf der Insel. Sprachführer ködern aber nicht nur unsere Sehnsucht, sie können unsere Gedanken auch in recht groteske Bahnen lenken. So kann sich unsere Phantasie zum Beispiel eine Situation ausmalen, in der wir auf Arabisch Sätze gebrauchen wie “Warum hat dieses Auto keinen Auspuff?”. Oder wir können uns überlegen, ob wir in Finnland je soweit kommen werden, auf Finnisch zu fragen: “Kommt das heisse Wasser hier aus dem Boiler?” - und was für Antworten werden wir wohl bekommen? Dass die Lektüre dieser Sprachführer oft so spannend ist, lässt sich wohl zurückführen auf den Konflikt zwischen der grundsätzlichen Unvorhersehbarkeit eines Reiseverlaufs und der Aufgabe dieser kleinen Begleiter, mögliche Situationen vorauszusehen und die sprachlichen Mittel zu ihrer Bewältigung bereitzustellen. Die Verfasser müssen erfinderisch sein, sich denkbare Abläufe einer Reise vorstellen. Und genau deshalb haben diese kleinen Büchlein immer auch eine erzählerische Dimension, liefern sie Dispositionen für Kurzgeschichten oder gar die Notizen zu einem Reiseroman. Auch an Reisehoroskope könnte man sich manchmal erinnert fühlen. Rund zweihundert italienische Sätze aus solchen Sprachführern und Sprachschnellkursen nun hat der Künstler Alex Hanimann ausgewählt und sie zum Material seiner Arbeit im Centro d’Arte Contemporanea Ticino in Bellinzona gemacht. Dazu angeregt hat ihn nach eigener Aussage der Umstand, dass er nicht italienisch kann. Hanimann hat allerdings schon früher immer wieder auf ähnlich spielerische Weise mit Sprache gearbeitet. 1993 zum Beispiel hat er im Rahmen der Ausstellung “The Swiss Paradigm” in Winnipeg eine Arbeit realisiert, die mit verschiedenen englischen Ausdrücken den Gegensatz von “Sicherheit” und “Unsicherheit” in der Sprache thematisierte. Dieses Material aus gefundenen Sätzen nun hat Hanimann - ergänzt durch einige selbst “kreierte” Phrasen - in Bellinzona auf drei verschiedene Weisen eingesetzt. In den beiden grösseren Räumen des Centro hat er Tische aufgestellt und die einzelnen Sätze und Satzfragmente in grossen Buchstaben, montiert auf orange und schwarze Leisten, darauf ausgelegt. Die Besucher sind eingeladen, die Sätze neu zu ordnen und sich dabei wahlweise von den Farben oder von inhaltlichen Kriterien leiten zu lassen. So kann man die Sätze zum Beispiel nach Farben ordnen, ein Muster auf dem Tisch auslegen und hernach lesen, welch seltsame Konversation, welch seltsame Erzählung man eben “formuliert” hat. Oder man versucht, mit den vorhandenen Sätzen eine eigene Geschichte zu erzählen, ein skurriles Gespräch zu inszenieren. Und natürlich wird man sich irgendwann bewusst, dass man - egal, ob man die Sprachtafeln berührt hat oder nicht - für den nächsten Besucher der Ausstellung eine Art Botschaft hinterlassen wird. In den beiden kleineren Räumen montierte Hanimann einige dieser Sätze zu einem durchlaufenden Fries an der Wand - einmal in Schwarz, einmal in Orange. Die Auswahl der Sätze wurde dabei von der Aufgabe bestimmt, einen Satzwurm exakt in der Länge der vier Wände zu bekommen. Natürlich sind dabei recht seltsame Satzfolgen zustande gekommen - Elemente aus Geschichten, die der Besucher sich erst noch auszudenken hat: “Perché ti vesti sempre di nero?” - “Mi pare che la machina non funzioni bene.” - “Il ragazzo rimane muto.” etc. Im kleinsten und letzten Räumchen des Centro schliesslich präsentiert Hanimann sämtliche zuvor verwendeten Sätze in der Form eines Index. Geordnet nach ihrer Länge und in gewöhnlicher Schriftgrösse auf ein Papierband gedruckt, zeichnen die Sätze eine Art Kurve, formen sie einen Keil an der Wand. Und natürlich ergeben sich auch da manch verwirrende, manch poetische oder auch vollends abstruse Zusammenhänge: “Non é niente” - “Tutti i giorni” - “I cavalli neri” - täglich schwarze Pferde, das ist wahrlich ein ziemlicher Brocken. Hannimanns Vorgehen im Centro ist im Prinzip denkbar einfach. Zunächst löst er einzelne Sätze, die er in Sprachführern und Schnellkursen findet aus ihrem Kontext und ihrer an einzelne Situationen gebundenen Ordnung. Sodann gibt er neue Kriterien für die Ordnung der Sätze vor: nach Farben oder nach dem poetischen Willen des Betrachters, nach Wandlänge oder nach Länge der einzelnen Phrasen. Damit erhalten die Sätze eine Vielzahl möglicher neuer Kontexte und ergo auch neue Bedeutungen. Insgesamt erscheint die ganze Installation im Centro als ein grosser und äusserst wirksamer Katalysator für unsere Phantasie. Ob wir nun auf die Behauptung “Ho cacciato i leoni in Africa” mit der Bemerkung “Bring mir eine Nummer grösser” antworten, “Fammi vedere” verlangen oder philosophisch kontern: “Der Zweifel ist die Voraussetzung jeden Verstehens” - es ist jedes mal eine völlig andere Geschichte, die wir uns vorstellen, es sind jedes mal gänzlich andere Bilder, die uns durch den Kopf gehen. Manchmal ist es auch die schiere Alltäglichkeit, die uns entgegentritt: “Das ist alles” - “Es hat sich nichts verändert” - “Das kann ich nicht”. Und dann wieder werden wir überrascht: Denn auf die Frage “Kannst du schwimmen?” gibt es hier keine eindeutige Antwort - aber immerhin die Versicherung: “Quando avrà la risposta, ti telefonerà subito”. Also warten wir, bis es klingelt. |
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